Unterwegs auf der "Nano-Autobahn"

Max-Planck-Forscher bestimmen optimale Parameter für biomimetische, auf molekularen Motoren basierende Transportsysteme

9. Mai 2005

Molekulare Motoren sind Nanometer große Maschinen, die sich entlang sehr dünner, stäbchenförmiger Filamente bewegen. Auf diese Weise ermöglichen sie einen regen Verkehr von molekularen Transportgütern innerhalb biologischer Zellen. Sowohl die Motoren als auch die Filamente können von den Zellen isoliert und für den Aufbau von biomimetischen Transportsystemen eingesetzt werden. Will man den Fluss der Frachttransporter erhöhen, muss man auch die Anzahl der Motoren steigern, ohne dabei Verkehrsstaus zu verursachen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und der Universität Amsterdam haben jetzt den Motor-getriebenen Verkehr für verschiedene Kompartiment-Geometrien und Filamentanordnungen nachgebaut und simuliert. Zudem konnten sie dabei die optimalen Rahmenbedingungen für den Transport von "Nanofrachten" ermitteln (Biophysical Journal, Mai 2005).

Jede Zelle unseres Körpers enthält eine große Anzahl kleiner Vesikel, die in komplexen Mustern innerhalb von Zellen transportiert werden. So bewegen sich einige dieser Vesikel vom Zentrum der Zelle hin zur Peripherie und wieder zurück, andere dagegen fahren zwischen verschiedenen Organellen oder zellulären Kompartimenten hin und her. Ein Extremfall ist der weit reichende Transport von Vesikeln und Organellen entlang der Axone unserer Nervenzellen, die bis zu einem halben Meter lang sein können. Diese Bewegungen basieren auf zwei molekularen Komponenten: sehr dünnen stäbchenförmigen Filamenten, die ein komplexes Schienennetzwerk ausbilden, und molekulare Motoren, die sich entlang der Filamente bewegen und dabei Vesikel und andere Nanofrachten transportieren. Sind die Motoren an die Filamente gebunden, können sie die chemische Energie eines einzigen ATP-Moleküls in mechanische Kraft umwandeln. Auf diese Weise wird die kleinstmögliche Menge an Kraftstoff für eine größtmögliche Fortbewegung genutzt.

Werden die Filamente und Motoren von den biologischen Zellen isoliert, können sie für den Aufbau künstlicher Transportsysteme benutzt werden. Ein relativ einfaches System besteht aus Filamenten, die wie in Abb. 1 auf einer Substratoberfläche ausgerichtet sind. Diese "Schienen" sind polar und besitzen daher einen Plus- und einen Minuspol. In Abb. 1 sind die Filamente so ausgerichtet, dass alle Pluspole in die gleiche Richtung zeigen. Auf diese Weise fügen sich viele Schienen parallel zueinander und bilden auf diese Weise eine mehrspurige Nano-Autobahn. Die Max-Planck-Forscher untersuchen solche biomimetischen, also der Natur nachempfundenen Modellsysteme um jene Kontrollparameter zu identifizieren, über die man die Transporteigenschaften solcher Nanosysteme steuern und optimieren kann.

Bislang existiert nur ein Grundverständnis für das Verhalten von einzelnen Motor-Proteinen, die sich mit Hilfe ihrer zwei "Beine" Schritt für Schritt entlang der Filamente bewegen. Die Schrittlänge beträgt ungefähr 10 Nanometer. In einer Sekunde legt der Motor etwa 100 Schritte zurück und erreicht damit eine Geschwindigkeit von ungefähr einem Mikrometer pro Sekunde. Die Höhe der Geschwindigkeit ist zunächst nicht besonders beeindruckend, aber verglichen mit seiner Größe bewegt sich der Motor unglaublich schnell. Ein Leichtathlet müsste, um die gleiche Schnelligkeit zu erreichen, 200 Meter in einer Sekunde zurücklegen. Dieses Ergebnis ist umso überraschender, wenn man berücksichtigt, dass sich der Motor in einer sehr zähflüssigen Umgebung bewegt und ständigen Zusammenstößen mit einer großen Anzahl von Wassermolekülen ausgesetzt ist. Aufgrund der Kollisionen besitzt der molekulare Motor eine begrenzte Lauflänge. Bereits nach einigen Sekunden löst er sich von der Schiene und vollzieht zufällige Brownsche Bewegungen im umgebenden Wasser, bevor er sich erneut mit dem gleichen oder einem anderen Filament verbindet.

Will man nun den Verkehr von molekularen Motoren in biologischen Zellen und in biomimetischen Systemen verstehen, muss man über den einzelnen Motor hinausgehen und das kooperative Verhalten von mehreren Motoren berücksichtigen. Soll ein großer Durchsatz von Frachten erreicht werden, muss man viele Motoren parallel operieren lassen. Laufen aber mehrere Motoren entlang des gleichen Schienenstrangs, stoßen sie zusammen und erzeugen so molekulare Staus. Diese kann man durchaus mit unseren Verkehrsstaus vergleichen. Im Gegensatz zu unseren Automobilen, die die Straße bei einem Verkehrsstau nicht verlassen können, sind die molekularen Motoren allerdings in der Lage, sich von den Schienen zu lösen und in die umgebende Flüssigkeit zu entweichen.

Die drei Schnappschüsse zeigen den Transport eines Mikrometer großen Kügelchens (weißer Pfeil) bei 0, 4 und 8 Sekunden. Das Kügelchen wird von winzigen molekularen Motoren, die für das menschliche Auge unsichtbar sind, parallel entlang der Filamente bewegt, die immobil auf der Substratoberfläche liegen. Alle Filamente sind polar und so ausgerichtet, dass ihre Pluspole nach rechts zeigen. Dadurch bildet sich eine mehrspurige "Autobahn" im Nanometerbereich. Das Kügelchen bewegt sich acht Mikrometer innerhalb von acht Sekunden. In dieser Zeit legen die Motoren 800 Schritte zurück.

Die Potsdamer Max-Planck-Forscher haben jetzt theoretische Modelle entwickelt, um diese komplexen Bewegungsstrukturen gezielt untersuchen zu können. Diese Modelle basieren auf bereits bekannten Eigenschaften einzelner Motoren und ermöglichen es, das kooperative Verhalten von mehreren Motoren und ihre Interaktionen zu studieren. Im Rahmen dieser Modelle kann man untersuchen, welchen Einfluss die Geometrie der Kompartimente und die Anordnung der Filamente auf den Motor-getriebenen Transport haben. Hierbei ergeben sich zwei besonders interessante Filament-Architekturen: uniachsiale Anordnungen innerhalb röhrenartiger Kompartimente, die Nervenzellen ähneln (Abb. 2) sowie radiale Anordnungen innerhalb diskusartiger Kompartimente, die großen, auf einer Substratoberfläche haftenden Zellen ähneln.

Zeichnung von molekularen Motoren, die sich entlang eines einzigen Filaments bewegen oder im umgebenden Wasser diffundieren (oben). Die laufenden Motoren bilden einen Stau am Plusende des Filaments. Der Staueffekt hängt sehr stark von der Kompartimentgeometrie ab und ist sehr viel ausgeprägter in uniachsialen Systemen (unten links) als in radialen Systemen (unten rechts).

Überraschend stellte sich heraus, dass die Geometrie des Systems einen starken Einfluss auf die Ausbildung von Staus hat. In uniachsialen Systemen können Verkehrsstaus nicht verhindert werden, wenn man die Anzahl der Motoren, die in den Frachttransport involviert sind, erhöht. In radialen Systemen dagegen können solche Staus zu einem großen Teil vermieden werden, vorausgesetzt, die Motoren verlassen das Filament sofort, nachdem sie den Pluspol erreicht haben. Beide Systeme zeigen eine charakteristische, zwischenzeitliche Motorenkonzentration, die für den Frachttransport optimal ist. Mit Hilfe der neuen Modelle kann man jetzt voraussagen, auf welche Weise die optimale Motorenkonzentration von den Eigenschaften der Einzelmotoren abhängt.

Die theoretischen Befunde stimmen mit experimentellen Beobachtungen sowohl in künstlichen biomimetischen Systemen als auch in biologische Zellen überein. Die Forscher konnten das theoretische Verständnis auf komplexere Systeme erweitern, wie den Verkehr von Motoren, die sich entlang des gleichen Filaments in entgegen gesetzter Richtung bewegen. Ein solches System weist einen echten Phasenübergang von geringem zu hohem Bewegungsfluss auf. Gleichermaßen wurde gezeigt, dass es mit Hilfe von bestimmten Filament-Mustern möglich ist, die Motordiffusion parallel zur Oberfläche um mehrere Größenordnungen zu erhöhen. Diese Ergebnisse wurden durch die Kombination von analytischen Berechnungen und Computersimulationen erzielt.

Die systematische Erforschung verschiedener Systemarchitekturen ist wichtig für das Design neuer Transportsysteme. So würden Filamentmuster mit erhöhter Motordiffusion in Verbindung mit Mikro-Arrays für die DNA- und RNA-Hybridisierung zu einer höheren Hybridisierungsrate führen. Generell lassen sich aus biomimetischen Systemen, die auf molekularen Motoren und Filamenten basieren, vielfältige potentielle Anwendungen für die Biotechnologie, Pharmakologie und Medizin ableiten.

So werden neuartige Sortiereinrichtungen für Biomoleküle und Biokolloide möglich, oder der Motor-getriebene Transport von Wirkstoffen in menschliche Zellen oder molekulare Maschinen für spezielle Montage- und Herstellungsverfahren im Nanometerbereich. Langfristig wird man sogar in der Lage sein, intelligente biomimetische Systeme zu erzeugen, die in der Lage sind, auf wechselnde Umweltbedingungen zu reagieren und funktionsfähig zu bleiben.

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