Grenzen der Dehnung:Eine 3D-Methode zur Echtzeitmessung der Elastizität von Verbundmaterialien
Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung
Elastizität und konventionelle Methoden
Elastische Verformung begegnet uns in vielen Alltagssituationen: Gummibänder, die wir dehnen, Fußbälle, die wir ins Tor schießen, oder unsere Muskeln und Haut, die sich bei Bewegung strecken, sind Beispiele für vorübergehende Verformungen als Reaktion auf äußere Kräfte. Solche Verformungen sind elastisch, das heißt, die Materialien kehren in ihre ursprüngliche Form zurück, sobald die Belastung nachlässt. Selbst Knochen, die wir oft als starr wahrnehmen, sind nicht vollständig rigide — sie biegen und stauchen sich etwas durch elastische Verformung.
Auf molekularer Ebene erfolgt elastische Verformung durch die vorübergehende Umordnung von Atombindungen. Die Grenze zwischen der funktionalen Verformung eines Materials und seinem Versagen ist von entscheidender Bedeutung: Gummibänder reißen, Muskeln und Haut können sich überdehnen und Knochen brechen. Für Forschende ist das Verständnis der elastischen Verformung unter Belastung essenziell, um die molekulare Struktur eines Materials gezielt zu optimieren und seine mechanischen Eigenschaften zu verbessern.
Eine standartisierte optische Untersuchungsmethode von Materialeigenschaften heißt „konfokale Raman-Spektroskopie“. Bei ihr werden Laserstrahlen auf ein Material gerichtet und gemessen, wie dieses Licht vor und nach dessen Belastung zurückgeworfen wird – der Fachbegriff hierfür ist „gestreut“. Um die molekulare Reaktion auf die Belastung messen zu können, muss diese räumlich sehr klein sein. Dazu wird zwischenzeitlich ein Gerät auf die Materialoberfläche gesetzt, das Nanoindenter – also „Nanoeindrücker“ – heißt, und dass diese Belastung kontrolliert erzeugt. Durch die Belastung verändern die Moleküle im Material ihre Bindungen und schwingen unterschiedlich, was die Wellenlänge des gestreuten Lichts beeinflusst. Forschende messen diese Wellenlängenverschiebungen, um das mechanische Verhalten des Materials zu analysieren. Diese Technik eignet sich besonders für homogene Materialien, die molekular gleichförmig aufgebaut sind und entsprechend gleichmäßig auf äußere Belastungen reagieren. Allerdings versperrt der aufgesetzte Nanoindenter dem Laser den Blick auf die Materialprobe, weshalb bislang nur Vorher-Nachher-Messungen möglich waren, nicht aber während der Belastung.
Elastizität in komplexen Materialien: Ein umgekehrter Ansatz

Shahrouz Amini und sein Team setzten sich das Ziel, elastische Verformungen in komplexen Materialien in Echtzeit und drei Dimensionen zu messen — in solchen, deren Elastizität aufgrund ihrer ungleichmäßigen Struktur mit herkömmlichen Methoden schwer zu erfassen ist (Abb. 1). Die Elastizität dieser Materialien bildet komplexe Verformungsmuster aus, je nach Verteilung der einwirkenden Kraft, zum Beispiel bei heterogenen Materialien wie Knochen und Holz, oder der Richtung der Kraft, etwa bei anisotropen Materialien wie faserverstärkten Kompositen. Heterogene Materialien bestehen aus verschiedenen Materialkomponenten und Strukturen, bei Knochen zum Beispiel umhüllt eine feste Außenfläche ein schwammartiges Trabekelnetzwerk. Anisotrope Materialien enthalten zum Beispiel verstärkende Fasern, weshalb sie in Richtung dieser Fasern höhere Zugkräfte aufnehmen können als senkrecht dazu.
Um zu messen, wie Materialien sich in verschiedenen Tiefen und Positionen unterschiedlich verformen, änderte Aminis Team die Perspektive und stellte den herkömmlichen Aufbau buchstäblich auf den Kopf. Traditionell werden die Proben wie schon erklärt unter einen Nanoindenter gelegt – eine scharfe Spitze, die tausendmal kleiner ist als ein menschliches Haar –, um dauerhafte Verformungen hervorzurufen. Amini entwickelte einen Miniatur-Nanoindenter, der in ein Raman-Mikroskop integriert und unterhalb des Probenmaterials positioniert werden kann. In dieser Konfiguration trifft der Laserstrahl von oben auf die Probe, während der darunterliegende Nanoindenter außerhalb des Bereichs bleibt, in dem die Forschenden die gestreuten Lichtwellen analysieren.
Dieses innovative Gerät trägt den Namen 3D-RISM (3D Raman Indentation Strain Mapping) (Abb. 2). Es bietet eine so hohe räumliche Auflösung, dass es lokale elastische Verformungen mit bisher unerreichter Präzision messen kann. Doch das ist nicht alles: Während herkömmliche Raman-Mikroskopie lediglich die Verformung an der Oberfläche eines Materials erfasst, ermöglicht der invertierte Nanoindenter die Beobachtung des gesamten Verformungsprozesses in Echtzeit. „Es ist, als würde man einen Film anschauen, statt nur Vorher-Nachher-Bilder zu vergleichen“, erklärt Amini begeistert.
Künftige Anwendungen

Das kompakte 3D-RISM-System passt auf einen Schreibtisch, eröffnet jedoch enorme Anwendungsmöglichkeiten. Mit seiner hohen Präzision können Forschende Schwachstellen in Materialien und Geräten identifizieren und die elastischen Eigenschaften gezielt anpassen. So erfordern beispielsweise künstliche Knochen oder Zahnimplantate eine abgestufte Elastizität, um das Verhalten natürlichen Gewebes nachzuahmen.
Ebenso benötigen Materialien in der Soft-Robotik speziell gefertigte Hart-Weich-Grenzflächen, während Keramiken in Turbinen Verformungen durch Partikeleinschläge ausgleichen müssen. Weitere potenzielle Einsatzgebiete umfassen leichte, dennoch elastische Materialien oder langlebige Batterien, die mechanischen Belastungen und strukturellen Ungleichgewichten standhalten können.
Literaturhinweise
DOI: 10.1016/j.matt.2024.06.006