Wenn die Chemie stimmt
Deutsch-indische Forschungskooperation zum Verständnis, zur Vorbeugung und Diagnose von Infektionskrankheiten
Malaria, Leishmaniose, Tuberkulose, Typhus und andere Infektionskrankheiten bedrohen Leben und Gesundheit des größten Teils der Menschheit. Nur 1,2 der etwa 7 Milliarden Menschen leben in Industriestaaten, in denen die genannten Krankheiten eher eine „exotische“ Bedrohung sind. Die Entwicklung von Impfstoffen, Schnelltests und Medikamenten gegen die im globalen Maßstab essentiellen Krankheiten setzt ein grundlegendes Verständnis ihrer Erreger voraus.
Insbesondere aus dem rasanten Fortschritt in der Glykobiologie ergeben sich Möglichkeiten, wie zum Beispiel neuartige Konjugatimpfstoffe. Diese Impfstoffe bestehen aus zwei Komponenten, die zusammengefügt werden: zum einen aus spezifischen Kohlehydraten, die auf Krankheitserregern vorkommen, zum anderen aus bewährten Eiweißbausteinen, die eine Immunantwort stimulieren.
Mit diesen Konjugatimpfstoffen lassen sich Krankheiten bekämpfen, die bisher vernachlässigt wurden, etwa Leishmaniose oder Dengue Fieber. Andere Impfstoffe können gezielt gegen Bakterienstämme eingesetzt werden, gegen die bisherige Impfstoffe wirkungslos sind. So sind etwa Unterarten der Pneumokokken in Pakistan die häufigste Todesursache für Kinder. Aber auch neue Einsatzmöglichkeiten von Verfahren wie BAC (Bacterial Artificial Chromosomes), bei denen ein künstliches Chromosom zum Klonen verwendet wird, neue Untersuchungsmethoden an lebenden Zellen („live cell imaging“), neue Bekämpfungsmethoden für HIV, Pilzerkrankungen sowie neue Diagnostika wurden diskutiert.
Der „Workshop zur Biochemie der Infektionskrankheiten“ gab neben den etablierten Wissenschaftlern vor allem jungen Forschern die Chance, fächerübergreifend zusammenzuarbeiten. Wirkliche Durchbrüche, die zu Innovationen führen, sind auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten auf eine enge Zusammenarbeit vieler verschiedener Fachdisziplinen angewiesen. Chemiker, Infektionsbiologen, Immunologen, Mediziner und Experten der klinischen Forschung diskutierten daher Ergebnisse und zukunftsweisende Wege der Zusammenarbeit.
Welche Bedeutung der Workshop für beide Seiten hatte, war auch an der Riege der offiziellen Teilnehmer ablesbar. Er wurde vom indischen Staatssekretär für Biotechnologie, Prof. Vijay Rhagavan eröffnet, der darauf hinwies, dass Grundlagenforschung zu Infektionskrankheiten in Zusammenarbeit mit indischen Medizinern zu praktisch verwertbaren Fortschritten führen werde.
Dr. Chandrima Shaha, Direktor des NII und Prof. Peter Seeberger, einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, betonten, dass ein deutsch-indischer Austausch und eine Zusammenarbeit gerade bei der Erforschung von Infektionskrankheiten aussichtsreich ist. Dr. Claudia Hillinger von der Max-Planck-Gesellschaft und Dr. Arabinda Mitra vom indischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie, sowie Philip Petit, der Wissenschaftsberater der Deutschen Botschaft in Delhi berichteten, dass die deutsch-indische Wissenschaftskooperation bereits eine Erfolgsstory sei: So kamen im Jahr 2012 rund 640 indische Wissenschaftler als Forscher in Max-Planck-Institute, etwa jeder neunte der ausländischen Doktoranden an den MPIs stammt aus Indien. Jetzt wird diese Kooperation auf auch dem Gebiet der Infektionskrankheiten gezielt intensiviert.
Es gelang in Neu Delhi mehrere gemeinsame Projekte auf den Weg zu bringen. Zum einen sollen in Deutschland entwickelte, neuartige und preiswerte Diagnostika in Kürze in Indien erstmals in endemischen Gebieten erprobt werden. Zum anderen sollen gemeinsam Impfstoffe erforscht werden, die auf zwei unabhängig voneinander in Indien und Deutschland entwickelten Komponenten beruhen, deren Kombination aber eine bessere Wirkung erwarten lässt. Zum Abschluss des Workshops wurde eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Ausbildung beschlossen.
Es sind vor allem in beiden Wissenschaftssystemen verankerte Forscher, wie der Biochemiker Chakkumkal Anish, die diese Zusammenarbeit leben. Dr. Anish kam vor zwei Jahren vom Gastgeber, dem National Institute of Immunology in Neu Delhi, als Gruppenleiter zum Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung (MPIKG) nach Potsdam. Dort entwickelte er einen Pest-Schnelltest, der stellvertretend für eine Reihe neuer, preisgünstiger Diagnostika steht. Chakkumkal Anish stellt fest: „In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der indischen Doktoranden in Max-Planck-Instituten um 80% gestiegen. Ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass gerade die deutsch-indische Zusammenarbeit vielversprechende Perspektiven eröffnet.“
Welche Ergebnisse diese deutsch-indische Zusammenarbeit noch haben kann, zeigt ein weiteres Beispiel aus dem Potsdamer MPIKG. Im November 2013 hat der indische Wissenschaftler Dr. Claney Pereira am Max-Planck-Institut Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam eine neue Biotech-Firma in Berlin mitgegründet (GlycoUniverse) und fungiert nun als deren wissenschaftlicher Geschäftsführer.